Wie HIV mein Sexleben verbessert hat – Teil III von III

Somit zum letzten Beitrag für Lvstprinzip! Zumindest vorübergehend…

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Teil III: Der Rhythmus unserer Schritte

Ich lernte Mona vor über zehn Jahren bei einem Kongress in Barcelona kennen. Was folgte, war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Eine Beziehung, die emotionale, physische und sexuelle Grenzen sprengen würde. Eineinhalb Jahre würden wir wie zwei reißende Ströme ineinander verschmolzen bleiben – bis sie den Mut hatte, es zu beenden.

Jedoch waren wir zusammengewachsen. Uns verband eine Vertrautheit, die wir nicht aufgeben konnten. Und so schwer der Übergang auch war, so essentiell wurde unsere Freundschaft. Wir wurden Familie – ohne Wunsch auf Intimitäten oder amouröse Vorstellungen. Obwohl in anderen Städten, manchmal auch auf anderen Kontinenten, verband uns eine innige Vertrautheit. Wir teilten alles – alles Tragische, alles Schöne, alles Vertraute und alles Herausfordernde.

Wir zitierten immer wieder Leonard Cohen: „Unsere Schritte würden sich immer reimen“.

Und als sie mir von ihrer Schwangerschaft erzählte, fing unserer nächster Vers an. Manchmal überschlagen sich Ereignisse zu schnell, um alles bewusst wahrzunehmen. Ihre Entscheidung, das Kind zu bekommen; der biologische Vater, der seinen Mut verlor und nach Argentinien floh (gemeinsam mit seiner Verantwortung und seinem Rückgrat); und mein Entschluss, mich zu ihr zu gesellen.

Für mich war es offensichtlich. Ich war im asexuellen Wien gefangen. In meinem düsteren, wütenden Incel-Dasein, aus dem heraus ich die Welt verteufelte. HIV fraß meine Psyche auf. Ich brauchte Veränderung. Verantwortung. Und ich wusste, sie könnte mich brauchen. So wie ich sie.

Da es sich gemeinsam leichter leidet, ging ich ins winterliche Barcelona – wo das Lachen laut und fröhlich ist. In die Stadt, die ich schon immer als sexuell aufgeschlossen, spaßig und frei gesehen hatte. Wo der südliche Takt des Lebens eher meinem eigenen entspricht, und wo ich mich zuhause fühlte.

Ich zog mit Mona in die ungeheizte Garage ihres Vaters ein – eine provisorisch zusammengeschusterte Bleibe, in der wir, von einem Holzpaneel getrennt, ein Übergangs-Zuhause fanden. Sie schlief neben der Küchenzeile. Ich neben dem Auto. Gelegentlich musste ich mich mit dem Hund um den Bett-Anspruch streiten.

Eine schwanger mit Kind, verunsichert über das Single-Mutter-Dasein.

Einer schwanger mit Virus, verunsichert, ob er sich verzeihen könnte.

Gemeinsam schwanger mit Ängsten vor einer unsicheren Zukunft.

Als die eisigen Böen durch die metallenen Rollläden und über den Betonboden krochen, fanden wir in unserer Freundschaft Rückhalt und Wärme.

Ich machte ihr immer wieder klar, dass sie das schon alles meistern würde – während sie mich an die Gründe erinnerte, weshalb sie sich damals in mich verliebt hatte.

Widerwillig entstaubte ich die Kiste, die sie mir zeigte, in der ich all meine Eigenschaften weggesperrt hatte – die Leidenschaft, die Freude und die Sexualität – alles, was ich für meine Infektion verantwortlich gemacht hatte. Ein Schatz an Attributen, vor denen ich mich gefürchtet hatte.

Und während ich die werdende Mutter mit ihrem größer werdenden Bauch beim bürokratischen Hürdenlauf unterstützte, durchforstete ich den Fund, den sie mir gegeben hatte. Ich schrieb wieder. Ich las wieder. Ich setzte mich wieder mit Kunst und dem Künstler-Leben auseinander. Und vor allem mit meinem Angst-Thema – der Sexualität. Ich las von Tantra-Übungen, von Ausdauer-Methoden und von meinem Lieblingsthema – dem Oralverkehr.

Desto mehr ich las, desto mehr veränderte sich wieder das Licht. Der Teint. Die klebrige Masse der Unzufriedenheit schmolz langsam – und unter ihr befand sich wieder Schönheit. Von der orgasmischen Fähigkeit der Zunge zu lesen inspirierte mich – erregte mich. Ich spürte wieder einen Puls. Langsam aber stetig spürte ich Blut in meinen Venen. Es folgte ein Frühlingserwachen.

Ich erinnerte mich wieder an Sachen, die ich ausgeblendet hatte. An geflüsterte Mythen meiner Vergangenheit. Von der Zeit vor HIV.

Den Spaß, den ich hatte wenn ein Frauenkörper an meiner Zunge zuckte. Wenn meine Fingerspitzen Gänsehaut auslösten, wenn sie sich in ekstatischem Verlangen auf die Lippe biss. Synchron-Stöhnen.

Ohne Wut. Ohne Hass. Ohne Aggression. Aber mit Zärtlichkeit, Finesse und Genuss.

Intim. Leidenschaftlich. Offen. Ehrlich.

Als ich mir Monas eigenen Koffer an Verantwortung ansah, und im Gegenzug meinen, sah ich plötzlich den Kontrast. Ich schämte mich für mein Verhalten. Da war diese tapfere Frau, die in kurzer Zeit ein Kind bekommen würde.  Stolz und selbstbewusst eine neue Verantwortung wahrnehmend. Und ich versteckte mich in meinen Aggressionen und meinem verletztem Ego.

Aber natürlich verstand sie. Sie sah meine Veränderung. Das Leben dass ich verloren hatte, und meine Suche nach einem Neuen. Sie ermutigte mich, auszugehen – zu erforschen, Frauen kennenzulernen, mich wieder ins Leben zu stürzen. Und ich folgte ihrem Befehl.

Ein neuer Ausdruck schmückte mein Gesicht. Ein schmatzend-feuchtes Lächeln, und ein neugieriger Glanz in den Augen. Anstatt dass alle Frauen hässlich waren, waren auf einmal alle schön geworden. Ich verliebte mich jeden Tag aufs Neue und konnte mich nicht oft genug umdrehen, um all die Schönheit in mich aufzunehmen. Anstelle des schnaufenden Grunzens lachten meine Augen in alle Richtungen – mit entsprechender Rückmeldung. Sie lachten alle zurück. Schüchtern und neugierig.

Die aggressiven Gedanken, die mich verfolgt hatten lösten sich in Luft auf. Anstatt zu denken „Ich will ihn in die Schlampe reinstecken“, kam das Vogelgezwitscher – „Wie gerne würde ich mich zwischen ihren Beinen laben, ihre Schönheit und ihre Essenz inhalieren!“. Ja, ein fröhliches Gemüt lässt auch die Gedanken in Poesie tanzen…

Ich lernte, wieder über mich zu lachen. Über alles zu lachen. Laut und ehrlich. Flirten fiel mir plötzlich wieder so leicht. Fast zu leicht! Und mit diesem wiederentdecktem Herzschlag veränderte sich noch einmal der Teint. Ich verliebte mich wieder. Ins Jetzt. Ins Leben.

In unserem synchronen Dasein veränderte sich auch für Mona die Lage. Die dunkle, kalte Garage wurde zu einem Zuhause ummodelliert. Licht, Möbel und Wärme fluteten das werdende Heim. Der Hund war nebenan, und sie war bereit, Mutter zu sein. Ich zog aus, um sie die letzten Wochen alleine leben zu lassen (und sie von meinem Schnarchen zu erlösen).

Und mit meinem Auszug verabschiedete sich der Fluch, den HIV über mich gebracht hatte.

Bald verbrachte ich meine Sonntage unter weißen Decken mit einer spanischen Schönheit. Verschwitzte Körper umschlungen. Lachend und stöhnend. Akrobatisch, feucht und befriedigend. Oft ohne Penetration. Sex ist ja bekanntlich das Langweiligste am Sex.

In Demut. Und Dankbarkeit. Dass ich das wieder erleben darf.

Ich hatte die Möglichkeit, zu hassen und die Schuld an meiner Unzufriedenheit bei anderen zu suchen. Die Option, Opfer zu sein. Oder auch nicht. Wollte ich wirklich den Rest meines Lebens in Einsamkeit verbringen? Oder mich dagegen wehren und mich nicht mehr als Opfer sehen? Und somit lernte ich, dass es meine Entscheidung ist. Jeden Tag aufs Neue.

Das hat mir HIV gegeben. Die Schönheit des Lebens und der Sexualität. Eine Freiheit, die man sich wieder erarbeiten muss, lernt man anders zu schätzen. Eine Wertschätzung, die ich von nun an bei jeder intimen Begegnung aufs Neue spüre. Mir erlaubt diese Erkenntnis, mich auf meine Partnerinnen einzulassen und zu verschmelzen – auf unausgesprochene „Jas“ und „Neins“ mit meinem Körper zu antworten, auf ihre Signale, ihren Rhythmus und ihren Takt. Im tantrischen Blindflug.

HIV hat mir zwei Jahre meines Lebens geraubt. Jedoch hat es mir auch eine Möglichkeit gegeben, mich mit meinen Wünschen, meinen Träumen und meinem Selbst auseinanderzusetzen. Auf eine Art und Weise, die ich sonst nicht gehabt hätte und die mich hinterfragen ließ, was ich in meinem Leben will, und was ich nicht will. Wer ich sein oder nicht sein will.

Ich gebe dem HIV seinen Platz – nicht mehr und nicht weniger. In dieser staubigen Kiste, die ich immer mithabe. Da kontrolliere ich ihn, und nicht er mich. Der Virus ist meine „Superpower“ geworden. Ein Mahnmal der Verantwortung, sowie eine Erinnerung an die Freiheit, die ich mir aussuchen darf. Zu spüren. Zu lieben. Zu geniessen. Mit all meinen Sinnen.

Ein paar Stunden nachdem Mona ihren Sohn auf die Welt gebracht hatte, hielt auch ich ihn in den Armen. Bereit für die neuen Kapitel im Gedicht. Ein Virusträger, eine neue Mutter und ein wunderschönes Kind.

Ich bin wieder frei.

Außer wenn ich babysitten muss.

 

Wie es zur Ansteckung kam kann man HIER lesen.